Das Königliche Priestertum der Gläubigen
„Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, eine heilige Nation, ein Volk zum Besitztum, damit ihr die Tugenden dessen verkündigt, der euch aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht berufen hat.“ (1.Petr.2,9)
Schon zu Beginn der Geschichte des Volkes Israels in der Wüste gibt Mose in 2.Mos. 19,6 einen Ausblick auf dessen Bestimmung in der Zukunft. Er beschreibt die Identität, die Gott für sein Volk hat so: „Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und eine heilige Nation sein“. Die selbe Bestimmung spricht Petrus etwa 1500 Jahre später über das neutestamentliche Volk Gottes aus (s.o.).
Als Christen denken wir bei dieser Berufung vermutlich an den Begriff des „allgemeinen Priestertums“. In einer seiner Schriften propagierte der Reformator Martin Luther das „Priestertum aller Getauften“, in Abgrenzung zum römischen Priestertum. Alle wiedergeborenen Christen haben durch den Glauben und ohne priesterliche Vermittlung den direkten Zugang zum göttlichen Heil. Daß nach dem Tod Jesu der Vorhang im Tempel zerriß und den Zugang zum Allerheiligsten öffnete, verdeutlicht die Wahrheit dieser Aussage. Der Priester als Mittlerperson zwischen Gott und dem Menschen ist nicht mehr nötig, jeder Gläubige, der durch das Blut Jesu gereinigt ist, darf frei in die Gegenwart Gottes treten (Eph.2,18).
Daraus folgt aber auch der Auftrag an alle Gläubigen, priesterliche Aufgaben wahrzunehmen (Gebet, Fürbitte, Seelsorge, Heilung etc.) und ein priesterliches Leben der Ausgesondertheit zu führen. Fakt ist, daß schon nach dem Tode der Apostel im ersten Jahrhundert diese Wahrheit langsam in Vergessenheit geriet und sich das alte Priestertum wieder durchsetzte. Zur Zeit der Reformation wurde es wieder neu entdeckt, verschwand aber nach wenigen Jahren wieder. Die Täufer, die das allgemeine Priestertum in Privathäusern weiterlebten, wurden bald von den reformierten Kirchen und von der katholischen Kirche verfolgt. Heute legt Gott wieder neu seine Betonung auf die Erneuerung des allgemeinen Priestertums.
Zwei Arten von Priestertum
In der Bibel finden wir, neben dem allgemeinen Priestertum, zwei Arten von Priester. Der Alte Bund ist geprägt vom Levitischen Priestertum. Aaron aus dem Stamm Levi wurde von Gott zum Priester für das Volk bestellt. Der Stamm Levi wurde zum priesterlichen Stamm mit eigener Nachfolgeregelung. Damals war es normal, Gott durch ein Tieropfer mit dem sündigen Menschen auszusöhnen. Schon Abel wusste das und brachte Gott ein Lamm als wohlgefällige Opfergabe dar. Diese Praxis setzte sich fort und prägte die gesamte Vorgeschichte der religiösen Kulte der Menschen bis heute und eben auch die Geschichte Israels. Aber sie hatten einen eigenen Priesterdienst und brachten Opfer nach den Vorschriften Gottes dar. Die Nationen neben ihnen, folgten anderen Göttern, hatten aber ebenso Priester, die vermittelnd zwischen ihrem Gott und dem Volk standen, um Sühneopfer darzubringen und Segen zu erbitten.
Doch schon vor dem Levitischen Priestertum gab es ein anderes Priestertum, das uns in der Begegnung mit Abraham vorgestellt wird: Melchisedek. Abraham bringt ihm seinen Zehnten und erkennt ihn damit als Priester vor Gott an. Melchisedek brachte kein Opfer im üblichen Sinne dar, sondern reichte nur Brot und Wein. Das erinnert an das Abendmahl, das Jesus einsetzte. Der Schreiber des Hebräerbriefes greift die Begebenheit auf und bezeichnet Jesus als Priester nach der Ordnung des Melchisedek. David sagte prophetisch über Jesus: „Du bist Priester in Ewigkeit nach der Weise Melchisedeks! (Psalm 110,4)“ Dieses Priesteramt hat keine natürliche Nachfolgeregelung, es löst das levitische Priestertum ab und ist in Jesus Christus vollendet. Damit bereitete Jesus den Weg für den neuen Menschen, der ohne die Vermittlung eines menschlichen Priesters freien Zugang zu Gott hat. In den Fußtapfen Jesu, dessen Opfer ein für alle mal genügt, sind wir mit Gott versöhnt und können als seine Jünger nun selbst als Priester wirken.
Der Rückfall in das Levitische Priestertum
Überall in den Kirchen und Gemeinden von heute ist der Rückfall in das levitische Priestertum zu sehen. Am deutlichsten in den Kirchen, wo ein Priester in Priesterrobe, in einem abgesonderten Altarbereich heilige Zeremonien durchführt, bei dem das „Gemeindevolk“ zuschauen darf. Nur ihm ist es erlaubt, die heiligen Sakramente zu spenden, ohne die das Heil der Laienchristen in Frage steht. Die Darbringung des Opfers, was mit Jesus definitv abgeschlossen ist, wird von ihm immer wieder neu am Altar vollzogen. Auch die meisten anderen Kirchen und christlichen Gemeinden sind in eine alttestamentliche und heidnische Priesterstruktur zurückgefallen, auch, wenn es äußerlich nicht so erkennbar ist. Durch die gezielte Ausbildung von Priestern, Pfarrern, Pastoren und Predigern wurde eine neue geistliche Elite geschaffen, die als Klerus einem Heer von Laien gegenübersteht. Wenn Paulus von Apostel, Propheten, Hirten und Lehrern sprach, dann waren das Brüder inmitten der Gemeinde, die als Vorbilder und durch ihre besondere Berufung, die Aufgabe hatten die Gläubigen in die Selbständigkeit ihrer priesterlichen Aufgaben zu führen. Sie sollten „die Heiligen zum Werk des Dienstes zurüsten“ (Eph.4,11-12). Ihre Aufgabe war es nicht, nur als Priester dem Gemeindevolk zu dienen, sondern die Glieder der Gemeinde für den Priesterdienst zu bewahren zu trainieren. Heute sehen wir überall in Kirchen und Gemeinden, wie einzelne Gläubige als „ordinierte Geistliche“ eine besondere Rolle haben und das Priestertum der Gläubigen mehr verhindert.
Ein Königreich von Priestern
Im Mosetext und im ersten Petrusbrief finden wir nicht die Bezeichnung „allgemeines Priestertum“, sondern „Königreich von Priestern“. Unsere Berufung hat also noch eine zweite Seite, die eines Königs. Im Johannesevangelium lesen wir: „so viele ihn aber aufnahmen, denen gab er das Recht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben“ (Joh.1,12). Wenn Jesus bzw. Gott unser König ist, dann sind wir, die Gläubigen, Königskinder und Erben. Das heißt, wir haben, bzw. bekommen ein besonderes, königliches Recht (exhousia), das ist eine geistliche Vollmacht und Autorität. Es betrifft nicht die Reife oder Begabung, sondern den Stand, den wir rechtmäßig einnehmen dürfen. Viele Christen wissen nicht, wie groß ihre Autorität ist und können sie deshalb auch nicht ausüben. Andere schrecken schon bei dem Begriff Autorität zurück und denken an Machtmissbrauch und Dominanz, vor dem auch die Gemeinden nicht verschont bleiben. Eventuell ist da noch Heilung nötig.
Gott hat schon im Paradies den Menschen beauftragt, sich die ganze Erde „untertan“ zu machen und zu herrschen über alle Vögel und Tiere (1. Mos. 1,28). Durch den Sündenfall wurde dieser Auftrag negativ verdreht. Aus dem göttlichen „untertan machen“ wurde die gnadenlose Ausbeutung der Schöpfung und die Herrschaft über Tiere wurde auf Menschen ausgeweitet, was nicht im Sinne Gottes ist. Wir sehen heute überall diese pervertierte Herrschafts- und Machtausübung, nicht nur in der Welt, sondern auch in der Kirche und in den Gemeinden. Als die frühe Kirche begann, sich der Welt zu öffnen, übernahm sie den falschen Herrschaftsbegriff und übertrug das hierarchische Machtsystem Roms auf die Kirche. Aus Angst vor Irrlerhrern und Konflikten setzten sie den Bischof mit königlich- priesterlicher Autorität an die Spitze der Kirche („monarchischer Episkopat“) und unterstellten ihm die Ältesten und die Gemeinde. Die erste Kirchenhierarchie war entstanden. Bis heute finden wir die hierarchische Grundstruktur in vielen Denomination wieder. Dem unmündigen Christen gibt sie Sicherheit und Orientierung, denn es könnte zu gefährlich und zu anstrengend sein, als königlicher Priester selbständig und abhängig von Gott zu handeln. Und doch ist das der Stil des Reiches Gottes: Jesus Christus regiert ohne Hierarchie als König über uns und wir sind seine Nacholger und Beauftragten. Jesus hat uns gezeigt, das göttliche Herrschaft immer mit Dienen einhergeht: „Denn einer ist euer Lehrer, ihr alle aber seid Brüder…. Der Größte aber unter euch soll euer Diener sein“ (Mt.23,8.11). Die Gemeinde der Erlösten ist kein hierarchisches System, von Menschen gebaut, sondern ein „kooperativer Leib“, bei dem einer mit dem anderen verbunden ist und das Wachstum des Leibes wirkt, indem jeder auf das Haupt, den König Jesus Christus ausgerichtet bleibt (Eph. 4,15-16). Passend dazu sagt Petrus: „laßt euch auch selbst als lebendige Steine aufbauen, als ein geistliches Haus, ein heiliges Priestertum … Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum“ (1.Petr.2,5.9).
Ein königlicher Priester kennt seine Berufung, bzw. er streckt sich nach ihr aus und möchte in ihr leben. Er will den Platz im Hause Gottes einnehmen, den Gott für ihn vorbereitet hat und entsprechend seiner Begabung am ganzen Bau in Verantwortung mitwirken. Es gibt eine „Unversalrolle“ in der er königlich und priesterlich wirkt und eine „Spezialrolle“, in der er einen speziellen Auftrag ausführen wird. Ein königlicher Priester kennt sein Territorium. Er hat seine Zeltpflöcke gesteckt (Jes. 54,2) und wird sie weiter spannen, wenn Gott es sagt. Nachdem er Autorität über sein eigenes Leben ausübt, tut er das nach und nach über die ihm anvertrauten Bereiche. Er wird in ihnen als Diener herrschen und gegen die antigöttlichen Strukturen kämpfen und die Dämonen aus ihnen vertreiben. Ein königlicher Priester sucht in allem das Wohl der ihm anvertrauten Menschen und sorgt sich um ihre geistliche Entwicklung. Jeder gläubige Christ kann als königlicher Priester in seinem Rahmen in den ihm anvertrauten Bereichen diese Autorität praktizieren und bei treuer Ausübung immer mehr Bereiche in Liebe einnehmen.