Eine neue Reformation
- Die Überwindung des Denominationalismus
Die christliche Gemeinde, wie es sie in den letzten Jahrhunderten gab, war immer eine Gemeinde der Denomination (unterscheidende Benennung). Es ist die Bezeichnung für eine Glaubensgemeinschaft, die zwar zur selben Religion wie andere Glaubensgemeinschaften gehört, sich aber durch ein anderes Bekenntnis (Konfession) und durch einen anderen Namen bewusst abgrenzt. Der gemeinsame Name steht für eine gemeinsame Identität und für typische Glaubensaussagen und Praktiken der Gruppe. Damit soll die Abgrenzung zu anderen Gruppierungen und die Besonderheit der eigenen Erkenntnis und Praxis hervorgehoben werden.
Manche Christen meinen, dass die Vielzahl der Denominationen die Vielfalt Gottes zeigt, und auf eine gegenseitige Ergänzung angelegt ist. Ich meine, dass es schlicht und einfach Spaltung ist, die durch geistliche Blindheit, Traditionalismus und Rechthaberei entstand. Schon Paulus erwähnte Spaltung in 1.Kor. 1,12.13: „Ich meine aber dies, dass jeder von euch sagt: ich bin des Paulus, ich aber des Apollos, ich aber des Kephas, ich aber Christi. Ist der Christus zerteilt?“ Die traurige Tatsache ist doch, dass die Denominationen durch die Jahrhunderte nicht die Einheit des Leibes widergespiegelt haben, sondern mehr die Zerrissenheit des christlichen Glaubens aufgezeigt haben. Die Ökumene versucht dieses Problem heute zu überwinden, indem sie die unterschiedlichen Bekenntnisse nebeneinander stehen lässt und sich auf die Gemeinsamkeiten konzentriert. Das ist ein menschlicher Versuch, die Einheit auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners zu schaffen. Der Denominationalismus wird dabei aber nicht überwunden, ihm wird nur eine neue menschliche Organisation hinzugefügt. Ich bin überzeugt, Gott hat einen anderen Weg, bei dem es um das Sichtbarwerden des wahren Leibes Jesu in seiner geistlich- organischen Existenz geht.
Die Reformation Martin Luthers hat diesen Punkt unberührt gelassen, es ging ihr überhaupt nicht um diese Dinge. Im Gegenteil, aus dem neuen evangelischen Bekenntnis sind im Laufe von 500 Jahren die meisten neuen Denominationen hervorgegangen. Wir brauchen deshalb eine neue Reformation, die uns zurückführt zum alten, zum ersten Weg der Gemeinde. Damals ging es nicht um den Aufbau von Kirchenorganisationen, Kirchenrecht und Glaubensdogmen, sondern um das organische Leben der Gemeinde als Leib Jesu.
- Die Gemeinde der Stadt
Wer unter dem genannten Gesichtspunkt die Briefe des Neuen Testaments liest, wird feststellen, dass Paulus und auch die anderen Schreiber keinen einzigen Brief an eine Gemeinde mit bestimmter Benennung geschrieben haben. Vielmehr war der Empfänger des Briefes immer die Gemeinde einer Stadt oder einer Region. Zum Beispiel heißt es in 1.Kor.1, 1: „… an die Gemeinde Gottes, die in Korinth ist“, oder in Gal.1,2: “… den Gemeinden von Galatien).“ Nirgendwo finden wir einen Hinweis, dass es mehr als eine Gemeinde in einer Stadt gab. Heute jedoch finden wir in einer Stadt viele Gemeinden unterschiedlicher Benennung, die sich voneinander abgrenzen und Ausschließlichkeit beanspruchen. Leider wurde in den vergangenen Jahrhunderten die göttliche Grundlage der Gemeinde verlassen, stattdessen wurde ein falsches Gemeindeverständnis aufgebaut, das bis heute bestimmend ist. Es ist erschreckend, dass nur wenig Gläubige dieses falsche Verständnis hinterfragen. Es wird einfach als von Gott gegeben betrachtet. Es ist zu einem hartnäckigen Paradigma geworden, das nicht so leicht überwunden werden kann. Ich denke, da bedarf es einer neuen Offenbarung und den Willen zu einer echten, neuen Reformation.
Zur Zeit der ersten Gemeinden gehörte jeder wiedergeborene Christ zum Leib Jesu, zur Gemeinde in der Stadt. Über das erste Gemeindeleben in Jerusalem lesen wir: „wer gläubig geworden war, wurde (der Gemeinde) hinzugetan“. Die Gemeinde hatte keinen bestimmten Namen. Ihre Identität lag in der Gemeinschaft untereinander. Die Gläubigen der Stadt trafen sich täglich “im Tempel und in den Häusern“ (Apg.5, 42). Ihre Zahl war wahrscheinlich mehr als 10000, sie konnten sich nicht in einem Raum treffen. Sie kamen an unterschiedlichen Orten, in unterschiedlichen Räumen zusammen und hatten Gemeinschaft, brachen das Brot, beteten und hörten die Lehre der Apostel (Apg.2, 42-46).
Wir müssen die Gemeinde wieder voll als einen geistlichen Organismus verstehen, der nicht durch menschliche Organisationsstrukturen dargestellt werden kann. Versucht man es doch, dann kommt eine denominationelle Kirche dabei heraus. Natürlich wird es an jedem Ort, je nach Größe, eine oder mehrere Versammlungen der Gemeinde geben, wie es auch in Jerusalem war, doch fühlten sich alle einander zugehörig und hielten an der Einheit und an einer gemeinsamen Identität fest.
Überall, wo im neuen Testament von Gemeinde die Rede ist, finden wir das griechische Wort ekklesia – es heißt übersetzt „die Herausgerufene“ (der Stadt). Das ist ein politischer Begriff, der die Vollzahl der stimmberechtigten und mündigen Bürger einer griechischen Polis (Stadt) bezeichnete. In jeder Stadt gab es nur eine Ekklesia, zu der alle freien Bürger der griechischen Stadt zählten. Sie waren Mitbürger (sunpolites), also vollwertige Mitglieder der Stadtgemeinschaft mit Stimmrecht. Regelmäßig traf sich diese Ekklesia an einem großen zentralen Platz oder in einem großen Raum der Stadt um die Dinge der Stadtpolitik zu besprechen und Entscheidungen zu fällen. In diesem Sinne ist auch die christliche Gemeinde einer Stadt, die Vollzahl der herausgerufenen Heiligen in ihr, auf der ersten Einheitsebene. Sicher ist die Stadtgemeinde als christliche Gemeinde ein idealer Zustand, den man nicht mit organisatorischen Mitteln und bestimmten Vorgaben erreichen wird, da nicht alle Christen denselben Erkenntnisstand haben. Doch bleibt es eine geistliche Vorgabe, an der wir uns orientieren können, um nicht in Denominationalismus zu verfallen und die Einheit bewahren.
- Apostolisch- prophetische Grundlagen
Eine „Renovierung“ der Gemeinde genügt nicht, es wäre nur eine äußere Verschönerung, bei der die grundlegenden Strukturen unverändert blieben. Eine Reformation (Wiederherstellung) ist notwendig, bei der die ursprünglichen Grundlagen und der Charakter der Ekklesia wiederhergestellt werden. In Jesaja 61,4 spricht der Prophet vom „Aufbau der uralten Trümmerstätten“ und der „Erneuerung der verwüsteten Städte“. Damals betraf es das Volk Israel und die Stadt Jerusalem mit dem Tempel, für uns heute ist es das Reich Gottes und die Gemeinde. Die Prophezeiung Jesajas ging für das Volk in Erfüllung, als sie nach der Freilassung aus Babylon heimkehrten und zuerst den Tempel „auf den alten Fundamenten errichteten“ (Esra 3,3).
Eine Revolution darf es deshalb nicht sein, die würde zu weit gehen, denn sie beinhaltet die totale Abschaffung der alten Fundamente und den Aufbau einer ganz neuen Sache. Das wäre nicht richtig, weil Gott damals durch die Ausgießung des Heiligen Geistes schon die richtigen Fundamente gelegt hatte, die heute noch brauchbar sind und als Vorlage dienen. Werte, Charakter und Grundstruktur der Gemeinde und des Reiches Gottes sind immer noch gültig und als Muster und Modell vorhanden. Wir brauchen nur zu diesen Wurzeln unseres Glaubens zurückkehren und sie neu beleben. Doch müssen wir das fein und säuberlich von den christlichen Traditionen trennen, von denen sich leider sehr viele entwickelt haben. Der ursprüngliche Auftrag Jesu war, dass er uns in alle Welt sandte, das Reich Gottes zu verkünden und alle Völker zu Jünger zu machen (Mt. 28,16-18). Diesen „großen Missionsbefehl“ haben die Christen der vergangenen Jahrhunderte zu wenig umgesetzt.
Auch heute beschäftigen sich viele Gemeinden nur mit der Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus, bei dem es vorrangig um Errettung, Erlösung und Sammlung geht. Das ist gut und richtig, aber zu wenig. Jesus ging darüber hinaus. Er rief die Jünger in die Nachfolge, und proklamierte das Reiches Gottes. Die meiste Zeit seines Wirkens verbrachte Jesus damit, seine nächsten Nachfolger auszubilden und zu trainieren. Und nach der Auferstehung erschien er ihnen noch 40 Tage und lehrte nur über die Dinge des Reiches Gottes. Er beauftragte uns, dasselbe auch zu tun.
Die Apostel waren „Gesandte“. Sie waren nicht gesandt, nur die Erlösung zu verkünden und nur um Gemeinden zu bauen. Sie waren ausgesandt und beauftragt, die Botschaft vom Reich Gottes mit Zeichen und Wundern in alle Welt zu tragen. Diese Proklamation beinhaltete die Wiederherstellung und die Erneuerung dessen, was verlorengegangen war: Die Beziehung zu Gott, der wahre Mensch, wie Gott ihn meint, die Gemeinschaft wie Gott sie will und die gesamte Schöpfung. Diese Inhalte und Fundamente sind Gegenstand der neuen Reformation. Schon Petrus sprach von Reformation im Blick auf die gefallene Schöpfung, als er von der „Wiederherstellung aller Dinge“ sprach (Apg.3, 21). Wir müssen aufhören die Dinge selbst zu machen und mehr vom Heiligen Geist lernen. Nicht mehr unser Planen steht dann im Vordergrund, sondern Gottes Ideen und Handeln. Wir warten in Geduld und beobachten, was Gott tut. Dann fangen wir an, „in guten Werken zu wandeln, die Gott vorher für uns bereitet hat“ (Eph.2, 10). In diesem Sinne, liebe Geschwister, lasst uns die Reformation zu Ende bringen, bzw. eine neue Reformation anvisieren, im 500. Jahr der Reformation. Gott hat Großes vor.
Richard
(Bibelstellen angelehnt an Rev. Elberfelder Übersetzung / Newsletter „Stärkung“ bestellen s. rechts)